Renault 8 Gordini

Vor 50 Jahren rollt der Renault 8 Gordini ins Rampenlicht – und begründet mit der ersten Markenpokalserie der Welt eine neue Motorsportkategorie, die bis heute quer durch alle Hersteller große Popularität genießt. Mit 63 kW/86 PS Leistung, 170 km/h Spitze und der Wendigkeit eines Gokarts hängt die liebevoll „Gorde“ genannte Sportlimousine in den 1960er-Jahren auch weit stärkere Fahrzeuge spielend ab. Heute feiert die Heckmotorbauweise im neuen Renault Twingo ihr Revival, denn sie ermöglicht – ganz im Geiste des Renault 8 Gordini – eine unerreichte Wendigkeit bei optimaler Traktion.

Frankreich in den frühen 1960er-Jahren: Ein kleiner Gallier tritt seinen Siegeszug rund um die Welt an. Sein Name: Asterix. Zusammen mit seinem vollschlanken Gefährten Obelix zieht der listige Comic-Held kreuz und quer durch die antike Welt, um die übermächtigen Römer und Piraten auf allen Meeren das Fürchten zu lehren. Sein Geheimnis: ein Zaubertrank, der dem Winzling übermächtige Kräfte verleiht.


Renault 8: Ausgangsbasis mit besten Asterix-Genen
Bei Renault interpretiert man das Asterix-Thema auf ganz eigene Weise: Seit 1962 hat der französische Automobilhersteller den kantigen Renault 8 im Programm. Die kleine Familienlimousine hat nach bewährtem Muster den Motor im Heck, was für exzellente Traktion, spielerische Wendigkeit und eine leichtgängige Lenkung auch ohne Servounterstützung sorgt. Der 1,0-Liter-Vierzylinder­motor ist mit fünffach gelagerten Kurbelwellen und oben liegender Nockenwelle eine moderne Konstruktion, die 29 kW/40 PS mobilisiert – damit aber noch lange nicht an ihrem Limit angekommen ist. Außerdem verfügt der Renault 8 seit 1963 über ein synchronisiertes 4-Gang-Getriebe, ebenfalls keine Selbstver­ständlichkeit in der Autowelt der Sechziger. Kein Zweifel, in der braven Familienkutsche schlummern sportliche Talente, ein Typ wie Asterix: zwar intelligent und stets auf der Höhe der Zeit, jedoch auf den ersten Blick eher unscheinbar. Aber wehe, wenn er Zaubertrank nimmt.

Hilfe vom legendären PS-Zauberer
Dies erkennen auch die Verantwortlichen bei der Régie Nationale des Usines Renault und beauftragen den PS-Zauberer Amédée Gordini, eine verschärfte Version des beliebten Achters zu entwickeln. Der „Hexenmeister“ („Le Sorcier“), wie der begnadete Motorentüftler und Rennwagenkonstrukteur ehrfurchtsvoll tituliert wird, verwendet hierfür feinste Motorentechnik – mit ähnlich durchschlagendem Effekt wie das kraftspendende Gebräu seines fiktiven Urahnen Miraculix. Gordinis Technikpaket für den Renault 8 umfasst einen neu konstruierten Querstrom-Zylinderkopf aus Aluminium mit V-förmig positionierten Ventilen, zwei Solex-Doppelvergaser und einen Fächerkrümmer. Außerdem bohrt er den Hubraum auf 1.108 Kubikzentimeter auf.

Sportwagenschreck mit hohen Reserven
Dank der umfangreichen Dopingmaßnahmen entwickelt der kleine Vierzylinder ähnliche Qualitäten wie der schlagfertige Comic-Gallier. Mit 63 kW/86 PS ist er mehr als doppelt so stark wie sein ziviler Bruder und hat keine Mühe, die gerade einmal 3,99 Meter lange Limousine bis auf sensationelle 170 km/h Spitzentempo zu schieben. Damit gehört der Renault 8 Gordini im Jahre 1964 definitiv zu den Schnellsten auf der Straße und kann selbst Sportwagen wie dem populären Porsche 356 C respektlos auf die Pelle rücken. Passend dazu produziert das Triebwerk eine kernige Klangkulisse.

Als perfekte Ergänzung zum Sportlerherz verfügt der Renault 8 Gordini über Einzelradaufhängung vorne, kombiniert mit einer Pendelachse hinten, wie sie für Heckmotorfahrzeuge der damaligen Zeit typisch ist. Der tiefergelegte Aufbau, verkürzte Federwege und hydraulische Stoßdämpfer sorgen für optimale Straßenlage. Der extrem negative Sturz an der Hinterachse sichert hohe Kurvengeschwindigkeiten – vorausgesetzt, der versierte Pilot bleibt unerschrocken auf dem Gas stehen. Zusätzlich halten vier serienmäßige Scheibenbremsen das Temperament im Zaum, ein Sicherheitsbonus, der auch heute längst nicht bei allen Kleinwagen selbstverständlich ist.

Blaues Wunder mit Alltagsqualitäten
Auch optisch demonstriert der „Gorde“, wie der durchtrainierte Renault 8 bei seinen Fans heißt, tiefen Nationalstolz bei den Franzosen: Er wird bevorzugt in der französischen Rennfarbe „Bleu France 418“ mit weißen Doppelstreifen auf Kofferraumdeckel, Dach und Motorhaube ausgeliefert. Der große „Gordini“ Schriftzug am Heck sorgt für extra Prestige bei der Sportfahrerfraktion.

Mit einem umfangreichen Zubehörprogramm, darunter Sport­lenkräder, Leichtmetallräder und Rallye-Scheinwerfer, können die Enthusiasten ihren Renault 8 Gordini noch schärfer machen. Selbstver­ständlich fehlt auch die Mehrklang-Fanfare nicht, ein absolutes Muss in den wilden Sechzigern. Dabei ist der kernige Renner mit seinen vier Türen durchaus alltags- und familientauglich, und die komplette Instrumentierung verströmt sogar einen Hauch von Luxus.

Mehr Leistung und fünf Gänge: die zweite Serie
Dank seiner Fahrleistungen wird das blaue Kraftpaket in Frankreich über Nacht zum erschwinglichen Traum junger Fahrer, die von Rennmeriten träumen. Die Begeisterung steigert sich noch, als die „Régie“ 1966 den Renault 8 Gordini noch einmal zum Hexenmeister ins Trainingslager schickt: Dort wird der Vierzylinder auf 1.255 Kubikzentimeter Hubraum aufgebohrt. Statt der Solex-Vergaser beatmen jetzt zwei Weber-Doppelvergaser das Trieb­werk. Ergebnis der Kraftkur: Die Leistung steigt auf 65 kW/88 PS und die Höchstgeschwindigkeit auf über 175 km/h.

Eine Sensation im Kompaktwagensegment ist das serienmäßige 5-Gang-Schaltgetriebe des kleinen Galliers. Selbst bei großen Luxuslimousinen muss man 1966 dafür noch extra zahlen. Weiteres Novum: Neben dem 38-Liter-Haupttank findet sich im vorderen Kofferraum ein zweites Kraftstoffreservoir mit 26 Liter Fassungsvermögen. Von außen ist die zweite Serie an den beiden zusätzlichen Frontscheinwerfern zu erkennen, die dem „Gorde“ seinen unverwechselbaren, noch dynamischeren Look geben und die Erinnerung an den Kraftzwerg bis heute prägen.

„Coupe Gordini“: die erste Markenpokalserie der Welt
Viele Fahrer erleben ihr zweites blaues Wunder, als Renault 1966 mit dem „Coupe Gordini“ die erste Markenpokalserie der Welt ins Leben ruft. Das Rezept ist deutlich einfacher als die geheime Formel von Miraculix’ Zaubertrank: Man nehme absolut identische und serienmäßige Wettbewerbsfahrzeuge. Als einzige Ausnahmen erlaubt das Regelwerk ein Sportlenkrad, eine Öldruckanzeige und härtere Stoßdämpfer. Helm ist Pflicht, der Sicherheitsgurt noch nicht. Strikte Kontrollen sorgen für die Einhaltung des Reglements. Das entscheidende Kriterium für Sieg oder Niederlage ist daher stets der Fahrer, nicht das Fahrzeug. Der umfangreiche Rennkalender umfasst zwölf Rundstreckenrennen, 27 Rallyes und 17 Bergrennen. Damit Chancengleichheit besteht, sind professionelle Rennfahrer ausgeschlossen.

Türklinkenduelle mit vollem Einsatz
Die Serie ist vom Start weg ein Erfolg und trägt maßgeblich dazu bei, dass sich der Renault 8 Gordini zum heiß geliebten Kultmobil entwickelt. Zahlreiche Nachwuchspiloten fahren mit ihrem „Gorde“, der auch als Familienwagen und Schlafplatz in der Boxengasse dient, von einer Rennstrecke zur nächsten. Dort liefern sie sich spannende Positionskämpfe, bei denen kein Butterbrotpapier mehr zwischen die Türklinken passt. Das Publikum ist begeistert und strömt in Scharen zu dem preiswerten automobilen Amüsement. Eröffnet sich unterwegs die Gelegenheit, an einer Rallye oder einem lokalen Rennen teilzunehmen, starten die Cup-Piloten auch hier. Helm und Rennoverall im Kofferraum sind in dieser Zeit für viele Renault 8 Gordini Besitzer unverzichtbar. Bereits 1969 muss Renault wegen des großen Ansturms eine Vorqualifikation einführen und die Teilnahme auf 40 Piloten und 15 Ersatzfahrer beschränken.

Zu den Fahrern, die sich im Coupe Gordini ihre ersten Renn­lorbeeren verdienen, zählen der spätere Renault Formel 1-Star Jean-Pierre Jabouille und die französischen Rallye-Legenden Bernard Darniche und Jean-Luc Thérier.

Auch auf der großen Bühne macht der „Gorde“ eine gute Figur. In den Jahren 1964 bis 1966 siegt der sportliche Viertürer dreimal in Folge bei der anspruchsvollen Rallye Tour de Corse. Auf Korsika gelingt es 1965 dem kantigen Kompaktwagen in den Händen von Pierre Orsini sogar, den Renault Alpine A 110 auf Platz zwei zu verweisen. Hinzu kommt 1966 ein Sieg bei der Sardinien-Rallye.

Legitimer Erbe des „Gorde“: der neue Twingo
Das Konzept des Renault 8 Gordini lebt im neuen Renault Twingo fort. Die auf dem Genfer Auto-Salon 2014 vorgestellte dritte Generation des populären Kompaktwagens trägt das Triebwerk ebenfalls im Heck, was ihr zu konkurrenzloser Agilität verhilft. Gerade einmal 8,65 Meter misst der Wendekreis, da vorne weder Motor noch Nebenaggregate den Radeinschlag beeinträchtigen. Vom „Gorde“ erbt der Twingo außerdem die viertürige Karosseriearchitektur und das überraschend großzügig bemes­sene Platzangebot.

Zum Abschied ein großes Fest
Als 1970 die Produktion des Renault 8 Gordini ausläuft, haben insgesamt 12.203 Exemplare die Werkhallen verlassen, das sind immerhin neun Prozent der Renault 8 Gesamtproduktion. Doch der Nachfolger steht in Form des Renault 12 Gordini bereits am Start. Die Ablösung feiert Renault mit einem echten „Woodstock“ für Renault Gordini Fahrer. Am Tag „G“ strömen Zehntausende Fans zum „Circuit Paul Ricard“ in Le Castellet, um den heiß geliebten „Gorde“ zu verabschieden. Auch bei Asterix endet bekanntlich jedes Abenteuer mit einem rauschenden Dorffest.

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Foto: Renault